Drei Frauen sind ein Theater (7)

Drei Frauen sind ein Theater

Angelika und ich standen in einem gebührenden Abstand, trippelten von einem Fuß auf den anderen und beobachteten die Szene.

Ob die sich vielleicht mal an einen Tisch setzen könnten? Dabei ließe es sich doch viel leichter quatschen. Gerade als meine Kobolde ihre Überlegungen angestellt hatten, winkte Ingrid uns herbei.
„Kommt, wir nehmen gleich hier am Nebentisch Platz, Uta kommt gleich hinzu.“
„Uta, heißt also die Dame mit der roten Bluse?“ fragte ich neugierig.
„Genau. Wir haben zusammen studiert. Stellt euch vor.“

Besagte Uta war uns auf Anhieb sympathisch, redete gern, lachte herzlich und oft.
Sie forderte Ingrid auf: „Komm, fang du an, erzähl mir von dir, wo lebst du jetzt, ich will alles wissen.“

Ausschweifend folgte Ingrids Lebensbericht.
Meine Kobolde, ihnen war offenbar langweilig, wachten erst auf, als sie Ingrid dann sagen hörten: „ …bin ich zur TCM- Fortbildung hier in Beijing.“
Uta lachte laut.
„Ist was? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Ingrid schaute unsicher von einem zum anderen.
„Nein, nein, alles okay. Es ist nur so, dass TCM auch mein Spezialgebiet ist.“
„Das gibt es doch gar nicht.“
„Doch, wenn ich es dir sage.“
„Erzähl, was machst du denn genau?“
„Ich richte in Deutschland einen Lehrstuhl für TCM ein.“ „Dann bist du also Professorin?“
„Ja, aber nicht nur. Ich bin auch Dekan.“

„Wow,“ anerkennend pfiffen wir drei durch die Zähne. „Dann hast du ja richtig Karriere gemacht, Liebel…, Uta.“ So ganz kann sie das mit dem Liebelein ja wohl noch nicht lassen, die Jungs feixten schon wieder. Ich finde, sie kriegt das aber schon ganz ordentlich hin, beruhigte ich sie.
Uta lachte, dieses Mal nicht so laut, dafür eher ein wenig verlegen.
„Ja, das habe ich. Ich bin jetzt in China, weil ich Dozenten suche, die sowohl fit in TCM als auch in klassischer Medizin sind. Und dazu entweder perfekte Deutsch- oder Englischkenntnisse haben.“
Na, mit dem Englisch sprechenden Chinesen werden sie Frau Professor wohl kaum Glück haben, jauchzten die Jungs, da können wir ihnen von unseren Erfahrungen aber was flüstern.
„Und sind Sie schon erfolgreich gewesen?“ schaltete ich mich in die Diskussion ein.
„Ich habe bereits einige sehr aussagekräftige Interviews geführt, die sind durchaus vielversprechend. Dazu sprechen sie auch sehr gut Deutsch.“
Frag doch mal nach deren Englisch, die Jungs trieben mich an, ich ließ mich darauf ein. „Und wie waren deren Englischkenntnisse?“
Uta verstand natürlich nicht den Hintergrund meiner Frage, wie auch, daher schaute sie mich etwas eigenartig an.
„Ich frage, weil wir nur auf Chinesen getroffen sind, die kaum, um nicht zu sagen, kein Englisch sprachen.“
„Ach so, deren Englisch war schlecht, das gebe ich zu.“ „Aber meine Recherche ist noch nicht zu Ende. Ich fliege übermorgen nach Shanghai und setze die Interviews dort fort.“

Shanghai?

Wie aus einem Mund wiederholten wir das Wort. Mein Atem stockte und Angelikas Augen blitzen – Ingrid war leicht irritiert.
„Ja“, fuhr Uta fort. „Ich treffe dort übrigens noch ein paar unserer ehemaligen Kommilitonen.“
„Ach.“
„Erinnerst du dich noch an Robert? Oder an Brigitte?“
„Na, klar, der hübsche Robert. Sieht der nach wie vor so gut aus?“
„Weiß nicht, habe ihn auch lange nicht mehr gesehen. Aber überprüf das doch selbst und schau ihn dir an.“
„Was jetzt?“
„Schau ihn dir doch selbst an“, wieder lachte Uta laut. „Du kommst einfach auch zu uns nach Shanghai. Dann kannst du unseren alten Professor Heinrich treffen.“
„Was, den gibt es auch noch?“ Ingrid hatte bei dem Namen fast Tränen in den Augen.
Hatte die mal was mit dem? Oder warum guckt die jetzt so verklärt? fragte die Kobolde. Ich zuckte mit den Schultern. „Aber, nein das geht doch nicht, Uta. Wir fliegen in drei Tagen wieder zurück nach Deutschland“, protestierte Ingrid. „Ich muss euch noch …..“ Doch mein Stottern wurde von Uta abrupt unterbrochen.
Uta ließ nicht locker.
„Das ist wirklich eine super Idee, finde ich. Kennst du eigentlich Shanghai, Ingrid?“
„Nein, kenne ich nicht.“
„Na, dann aber mal hin. Wo ist das Problem? Hast du keinen Urlaub mehr oder was?“

„Doch schon, aber…“
„Was ist es denn?“
„Ach, ich käme mir so mies vor, ich fliege weiter nach Shanghai und meine Freundinnen müssen nach Hause.“ Schuldbewusst sah sie von Angelika zu mir.

Wenn du wüsstest, meine Kobolde veranstalteten einen regelrechten Feixtanz, hättest sie mal ausreden lassen müssen.
„Flieg du nur nach Shanghai, Ingrid. Das ist eine wirklich gute Gelegenheit, wer weiß, wann sich die noch mal ergibt.“ Ich musste sehr an mich halten, um mein Lachen zu unterdrücken.

„Und du würdest dann nach Hause fliegen?“ Sie sah mich fragend an.
„Nö, würde ich nicht.“
„Nein?“

„Nein – ich würde mitkommen.“
„Was, wenn das so ist, komme ich auch mit nach Shanghai. Ich fliege doch nicht alleine nach Hause“, protestierte Angelika.
Da schau einer an, erst hat die jede Menge Vorurteile gegen die Pekinesen, und jetzt kann die wohl gar nicht genug von denen kriegen. Aus der soll einer schlau werden, meine Kobolde waren fassungslos.
„Also, wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann treffen wir uns alle in Shanghai?“ fragte Uta vorsichtig.
„Ja, das sieht ganz so aus“, fasste Angelika zusammen.
Oh Gott, und wir haben gedacht, wir könnten uns noch ein paar ruhige Tage mit Dr. Wolf in Shanghai machen. Nix da.

Jetzt haben wir die noch im Schlepptau, meine beiden Jungs hatten ihre Fassung noch nicht wieder erlangt. „Wir werden natürlich von Frau Wang, das ist übrigens unsere nette Reiseleiterin, prüfen lassen, ob das mit den Flügen klappt und so“, stellte Ingrid fest.

„Na klar, macht das und ruf mich gleich an. Hier hast du meine Mobil-Nummer“, damit übergab Uta ihre Visitenkarte. „Ich freu mich auf Shanghai“, rief Angelika mit weit aufgerissenen Armen.
Warum ist die so euphorisch? Erst todkrank und jetzt schon wieder auf Abenteuer programmiert, die Jungs rangen weiter um Fassung.
„Da triffst du zufällig eine ehemalige Kommilitonin in Beijing, die auch noch TCM-Professorin ist, die lädt dich nach Shanghai ein und ihr fliegt auch noch mit – kann es so viele Zufälle auf einmal geben?“ sinnierte Ingrid, als wir mit dem Taxi auf dem Heimweg waren.

Die Umbuchung der Flüge stellte für Frau Wang kein Problem dar. Außerdem arbeitete sie seit Jahren eng mit Hotels in Shanghai zusammen, so dass sie uns ein attraktives Angebot machen konnte, dass wir gerne annahmen.

Der Abschied naht

Die letzten Tage in Beijing vergingen rasend schnell. Ein wenig Sightseeing hier und ein bisschen Shopping dort. Dann brachte Frau Wang uns zum Flughafen. Beim Abschied hatte sie feuchte Augen.

„Sie sind alle so nett, ich habe sie richtig ins Herz geschlossen“, dabei umarmte sie jede von uns. „Es war eine so schöne Zeit mit ihnen. Ich habe viel Spaß gehabt.“ Das Kompliment gaben wir gerne an sie zurück und bedankten uns herzlich für ihre Gastfreundschaft.

„Wissen sie“, dabei wischte sie eine Träne aus ihren Augen, „ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Drei Frauen sind ein Theater.“ Und das trifft ja auf sie ganz sicher zu.

„Wo sind eigentlich deine Perlenketten, Lena?“ fragte Angelika, als wir unsere Koffer bei der Ankunft in Shanghai ins Taxi wuchteten.
„Die hat sie doch per DHL nach Hause schicken lassen“, antwortete Ingrid.
„Oh, wie vorausschauend. Als hättest du geahnt, dass die dir hier nur im Wege sind“, kommentierte Angelika.
„Ja, so bin ich.“ Ich musste lachen.
Auf der Taxi-Fahrt zum Hotel sammelten wir erste Eindrücke dieser gigantischen Stadt. Kolonien von Wolkenkratzern, quirlig verstaubte Straßen, irgendwie schien hier alt und neu zusammen zu wachsen.
„Wir müssen auf jeden Fall eine Stadtrundfahrt machen“, schlug ich vor.
„Nur so ganz ohne unsere Frau Wang…“
„Ach, Angelika, mach’ dir keine Sorgen, wir haben doch Ingrid. Die muss jetzt ja nicht mehr zu den Vorträgen.“ „Stimmt, hab ich glatt vergessen.“
„Klar, ich bin bei euch. Aber denkt dran, an einem Tag muss ich mich ausblenden, da treffe ich mich mit Uta und meinen ehemaligen Kommilitonen.“ „Das planen wir ein“, sagte Angelika.
Und ich antwortete: „Hab schon eine Idee, was ich machen werde.“

„Fein, hätten wir das auch geregelt“, antwortete Ingrid und schien meinen Worten keine weitere Bedeutung beizumessen.
Das von Frau Wang vorgeschlagene Domizil entpuppte sich als neues, komfortables Hotel mit internationalem Flair, großzügiger Lobby und war nahe am Bund gelegen.

Sightseeing unter Chinesen

Der Kleinbus stand pünktlich um 7:30 Uhr vor der Hoteleinfahrt, um uns zur Stadtrundfahrt abzuholen. „Spricht die Reiseleitung Deutsch?“ wollte Angelika von Ingrid wissen, da sie die Tour gebucht hatte.

„Nein.“
„Aber wenigsten englisch, oder?“
„Nein, leider auch nicht.“
„Ja liebe Ingrid, dann musst du eben übersetzen.“ „Kein Problem, das mach ich doch gerne.“

Wir waren die ersten Gäste, weitere wurden aus anderen Hotels abgeholt. Als die Gruppe vollzählig war, stieg ebenfalls die Reiseleiterin zu, eine sehr nette, junge Chinesin, die sich dann über Mikrofon vorstellte. Erwartungsvoll schauten wir zu Ingrid.

„Die hat uns nur alle begrüßt“, formulierte sie knapp. Unsere Blicke wanderten durch den Kleinbus. Tatsächlich, wir waren die einzigen Langnasen. Die anderen Teilnehmer, vorwiegend ältere Chinesen, die aufgrund ihrer Kleidung vermuten ließen, sie kämen zum ersten Mal von ihrem Dorf in die ganz große Stadt.

Da sind wir in eine rein chinesische Reisegruppe geraten, feixten meine Jungs. Das kann ja abenteuerlich werden. Keine Bange, Ingrid ist ja dabei, beruhigte ich sie.

Vom ‚Orienteal Pearl Tower’, dem supermodernen Fernsehturm, konnten wir ganz Shanghai überblicken. Das es sich dabei um das Wahrzeichen Pudongs handelte und er mit 468 Metern der höchste Asiens und der dritthöchste der Welt ist, entnahmen wir den Tafeln auf der Ausflugsplattform, die in vielen Sprachen, so auch in Englisch die Gäste informierte.
Warum übersetzt die denn nichts? fragten mich meine Jungs – ich wusste es auch nicht.
Per Ausflugsdampfer schipperten wir auf dem ‚Huangpu- Fluss’. Vorbei an der Uferpromenade, dem legendären Bund, sowie an der ‚Nanpu-Brücke’, die mit 440 Metern zu den längsten Schrägseil-Hochbrücken ihrer Art in der Welt gehört. Ingrid stand dicht neben der Reiseleiterin, hörte ihr gebannt zu, stellte ihr ab und an Fragen, doch es folgte keine Übersetzung.
Merkwürdig, fanden meine Kobolde.
Wir wechselten wieder vom Schiff zum Bus, die Tour ging weiter. Ingrid setzte sich neben mich und machte einen sehr unglücklichen Eindruck.
„Was ist los mit dir? Geht es dir nicht gut?“ fragte ich sorgenvoll.
„Nein, nein mit mir ist alles in Ordnung. Es ist nur so, ich verstehe die nicht.“
„Was?“ lachte ich.

„Ja, du hast richtig gehört, ich verstehe die nicht. Weder die Reiseleiterin, noch den Busfahrer oder die anderen aus der Gruppe.“ „Da s gibt es doch gar nicht.“ „Anscheinend doch.“ „Verstehen die denn, wenn du etwas zu ihnen sagst?“ „Nein auch nicht“, traurig schüttelte sie den Kopf.
„Das ist ja ein Ding.“

„Ich glaube, die sprechen einen Dialekt, von dem habe ich schon mal gehört. Aber das war es auch schon. Das tut mir so leid.“
„Warum das denn?“

„Jetzt habt ihr euch so auf mich verlassen, und dann so was.“
Ich nahm sie fest in den Arm, lachte herzlich und sagte: „Jetzt mach dir darüber bitte keinen Kopf, das kriegen wir schon hin.“

„Dann lesen wir eben zu Hause alles noch mal nach, was wir gesehen haben“, schlug Angelika praktischer Weise vor. „Entspann dich und genieß die Tour.“
Sollen wir ihr jetzt vielleicht beschreiben, was wir so alles sehen? frotzelten die Jungs.

Irgendwann stoppte der Bus an einer Jadefabrik, wie sich später herausstellte. Unsere chinesische Gruppe inklusive uns drei Langnasen wurde von einer eifrigen Chinesin in einen separaten und sehr großen Raum geführt. Wir setzten uns in einem ordentlichen Abstand von den anderen hin, nahmen dankend das angebotene Wasser und warteten. Der Moderator erklärte irgendwas und zwar laut und wild gestikulierend, unterbrach sich dabei ab und zu und warf uns, die wir so ruhig dasaßen, vielsagende Blicke zu.

„Hat der jetzt Mitleid mit uns, weil wir nichts verstehen?“ fragte Angelika mit kräftiger Stimme.

„Sieht ganz danach aus“, nickte Ingrid.
„Na, dann wollen wir dem mal zeigen, dass wir auch Spaß haben können“, lachte ich und begann augenblicklich leise „wir lassen den Dom in Kölle’“ zu singen und zwar auf Kölsch.
Ingrid und Angelika hielten sich ihre Bäuche, prusteten in ihre Wangen, hatten Tränen in den Augen und riefen nur: „Hör auf, hör auf, wir können uns nicht mehr halten.“
Der Moderator blickte wieder zu uns herüber, dieses Mal lachte auch er freundlich und nickte wohlwollend.
„Wenn der wüsste, um was es geht“, platze Ingrid zaghaft heraus.
„Siehst du, jetzt sind wir wieder quitt, wir verstehen den nicht und der uns nicht. Und alle sind glücklich.“
„Mann, oh Mann, das darfst du wirklich keinem erzählen, die halten uns doch glatt für…“ weiter kam Angelika nicht, denn Ingrid beendete den Satz „… für humorvolle, talentierte und jeder Situation gewachsene, weltoffene Frauen.“
„Besser hätte ich das auch nicht ausdrücken können“, stimmte ich ihr zu.

Ein Gewirr von Hochstraßen versuchte offensichtlich den enormen Verkehr zu kanalisieren, und wir wussten oft gar nicht, was uns am meisten beeindruckte. Die krass aufeinander prallende Tradition mit der Moderne: Zum Beispiel die alten, dunklen und sehr kleinen Häuser und die Wäsche, die ihre Bewohner zum Trocknen in die Bäume hingen und dann die direkt dahinter gelegenen futuristischen Wolkenkratzer, wo waghalsige Fensterputzer damit beschäftigt waren, die Fassaden auf Hochglanz zu bringen, und wo mir nur beim Zusehen schon übel wurde.

Unsere letzte Station war die ‚alte Stadt’. Eine verhältnismäßig kleine Zelle inmitten dieser Zukunftsmetropole. Im ‚Yuyuan-Garten’ genossen wir die Stille und ließen uns bereitwillig mit Chinesen fotografieren, die in kleinen Gruppen auftauchten und ganz offensichtlich ihre wahre Freude an uns Langnasen hatten.
Bei Einbruch der Dunkelheit wurden alle Gebäude auf dem Bund sowie auf der ‚Nanjing Lu’, der berühmten Einkaufsstraße, effektvoll beleuchtet. Im Glanz des Lichtes ließen wir die Eindrücke des Tages noch einmal Revue passieren und beschlossen, die eine oder andere Sehenswürdigkeit noch einmal, aber dann ohne chinesische Reisegruppe, zu besichtigen.

„Gleich nach dem Frühstück treffe ich mich mit meinen Ehemaligen, ihr wisst schon, mit Uta, Professor Heinrich, und ….“ „….dem schönen Robert“, fügte ich hinzu. „Ach, Quatsch. Ich weiß gar nicht, ob der tatsächlich hier ist.“ „Grüß ihn mal schön von uns, unbekannter Weise“, lachte Angelika, „wer weiß, vielleicht lernen wir ihn ja auch mal kennen.“

„Was macht ihr denn heute?“ Ingrid wechselte das Thema. „Also ich muss noch dringend Mitbringsel besorgen“, sagte Angelika spontan.
„Lena, wie ich dich kenne, hast du doch sicher keine Lust zum Shoppen, nicht wahr?“
„Ich bin erstaunt, wie gut du mich schon kennst, Angelika. Stimmt, nach Shoppen steht mir nun wirklich nicht der Sinn.“
„Hast du schon ein Alternativ-Programm?“ „Ich werde wahrscheinlich ins ‚Shanghai Museum’ gehen, dort sollen wertvolle Funde aus zweitausend Jahren chinesischer Kulturgeschichte ausgestellt sein.“
„Hört sich interessant an“, schmunzelte Ingrid, „was haltet ihr davon, wenn wir uns zum Abendessen, so gegen neunzehn Uhr wieder treffen?“
Wir waren einverstanden und jede schlug eine andere Wegrichtung ein.

Nobel, nobel

Eine Stunde später stand Ingrid vor dem ‚Jin Mao Tower’. Sie betrat den goldenen Aufzug, der sie geräuschlos über fünfzig Etagen nach oben in die Lobby des ‚Grand Hyatt’ trug.

„Nobel, nobel“, ging es ihr durch den Kopf, und sie ließ sich gleich von der gediegenen Atmosphäre des Fünf-Sterne- Hotels einfangen.
„Schon eindrucksvoll hier, was?“ sprach Uta sie von hinten an

„Uta, hallo meine Liebe, schön, dich zu sehen. Ja, das ist schon ein atemberaubendes Hotel.“
„Hallo und herzlich willkommen in Shanghai.“ Zur Begrüßung nahmen sie sich fest in die Arme.

„Komm, lass uns zu den anderen gehen, die meisten sind schon da.“
Die Suite, ganz im Art-Déco-Stil eingerichtet, hatte Professor Heinrich extra für dieses Treffen gebucht. „Meine liebe Ingrid, wie freue ich mich, sie zu sehen. Lassen sie sich anschauen. Die vergangenen Jahre sind ja spurlos an ihnen vorbei gegangen.“ Die Komplimente des Professors machten sie verlegen. „Setzen sie sich und erzählen sie.“

Er verfolgte Ingrids Bericht mit großer Aufmerksamkeit, wobei er manchmal zustimmend nickte, ab und zu lächelte und am Ende sagte: „Ich bin stolz auf sie, Ingrid. Ich wusste immer, was für ein Potential in ihnen steckt.“
Eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht.
„So viel Komplimente, das bin ich gar nicht mehr
gewöhnt.“ „Was bist du nicht mehr gewöhnt?“ fragte jemand hinter ihr. Sie drehte sich um und überlegte eine Weile: „Ich hab ihn auf der Zunge liegen, gleich fällt er mir wieder ein“, sie streckte ihre Hand zum Gruß schon einmal aus. „Robert, ich bin Robert. Du erinnerst dich doch noch an mich?“
„Na klar, Robert. Wie könnte ich dich vergessen.“
Dabei setzte sie ein strahlendes Lächeln auf.
Na den hätte ich auf den ersten Blick nicht erkannt. Meine Güte, wo sind denn seine schönen Haare? Ich war immer ein bisschen neidisch auf seine Locken, dachte sie.

„Du kannst ruhig zugeben, dass du mich nicht erkannt hast. Ist ja auch kein Wunder.“ Dabei strich er über seinen Kopf, „ich hab ja auch ganz schön Haar gelassen.“ „Natürlich habe ich dich erkannt.“

„Ach ja, und woran?“
„Na, an deinen leuchtend blauen Augen, denn die hast du immer noch.“
„Ja, ja. Gott sei Dank gibt es Dinge, die man nicht so leicht verliert. Hast du eigentlich Sabine schon begrüßt?“ „Sabine, unsere Frohnatur“, lachte sie, „nein, die habe ich noch nicht gesehen.“
Da stand Sabine, streichholzkurze Haare, schlank, quirlig, wie vor zwanzig Jahren.
„Du hast dich gar nicht verändert“, sprudelten beide gleichzeitig heraus und lachten wie in alten Zeiten.
„Komm lass uns reden.“
Sabine zog Ingrid mit in eine gemütliche Ecke und begann unmittelbar zu erzählen.
„Und wie lebt es sich als geschiedene Frau in Shanghai?“ fragte Ingrid.
„Anfangs war es schon nicht ganz so leicht. Ich kann gar nicht mehr sagen, was schwieriger war, die Scheidung und das plötzliche Alleinsein oder das Leben in China. Auf jeden Fall habe ich alle Anlaufschwierigkeiten überwunden. Heute geht mir sehr gut. Meine Arbeit als TCM-Ärztin hier an der Uni macht mir viel Freude. Und inzwischen ist mein Freundeskreis stark gewachsen und bunt gemischt. Übrigens Doreen, der Name sagt dir doch was, oder?“ „Klar, ich habe lebhafte Erinnerungen an sie. Was ist mit ihr?“

„Sie lebt auch in Shanghai“
„Ist ja kaum zu glauben. Shanghai scheint wahrlich eine magische Anziehungskraft auszuüben“.
„Da ist was dran.“
Doreen war zwar nicht geschieden, sie hatte sich aber, bevor sie nach Shanghai ging, von ihrem langjährigen Freund getrennt.
Single hört sich immer noch besser an, als geschieden, war ihre Devise und fügte hinzu: „Heiraten muss ich nicht wirklich. Außerdem gehe ich in meiner Arbeit auf.“
„Und was ist dein Fachgebiet?“ fragte Ingrid interessiert. „Ich leite den Forschungsbereich von ‚Bio News’, das ist ein Health-Unternehmen. Hast du bestimmt schon mal von gehört, oder?“
Ingrid nickte.
„Ich beschäftige mich zum Beispiel mit Themen: Wie können Nährstoffe dem Organismus leichter zugänglich gemacht werden. Oder wie kann Soja noch wirkungsvoller – und dabei vor allem noch fettreduzierter – in Produkte eingebaut werden? Du guckst gerade so unglaubwürdig, Ingrid.“
„Nein, nein ich kann mir das sehr wohl vorstellen, denn….“ „Das ist der Markt der Zukunft. Wir werden bald Produkte haben, die wir essen, wenn wir ein körperliches Problem haben, anstatt Pillen einzunehmen.“ „Ja, ja, ich weiß. Das ist mir alles bekannt.“ „Und warum guckst du mich dann so unglaubwürdig an?“ „Weil ich als Ärztin auch eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines bedeutenden Unternehmens berate und zwar hinsichtlich aller TCM-Fragestellungen, so in etwa, wie du das gerade von deinem Unternehmen geschildert hast.“ Doreen lachte laut, herzlich und lang.

„Jetzt verstehe ich allerdings deinen Blick. So nach dem Motto, die kann mir ja viel erzählen. Das ist ja ein Zufall.“ „Glaubst du an Zufälle?“
„Nein eigentlich nicht. Ich glaube eher an Bestimmung.“ „Ich auch. Wir mussten uns jetzt und hier wieder treffen, um festzustellen, dass wir uns mit einem gemeinsamen Thema auseinander setzen. Nur mit dem Unterschied, du machst das in Shanghai und ich in Deutschland.“
„Ja, das ist völlig richtig. Das muss Bestimmung sein. Ich denke, wir sollten auf jeden Fall in Kontakt bleiben und unsere Erfahrungen austauschen, was meinst du?“ Dabei blickte sie Ingrid mit ihren großen Augen erwartungsvoll an. „Gute Idee. Wann kommst du das nächste Mal nach Deutschland?“
„Das kann ich dir im Moment gar nicht sagen. Aber, wann kommst du wieder nach Shanghai?“ „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ „Na, das sollest du aber bald mal machen. Wir hätten reichlich Erfahrungen auszutauschen und du bist jederzeit herzlich willkommen.“ „Vielen Dank für die Einladung.“
„Und Sabine wird sich ebenfalls sehr über deinen Besuch freuen, dass weiß ich.“
„Meine Güte, das kann ich gar nicht glauben, dass…“ „Doch, das kannst du ruhig und jetzt Ende der Diskussion, lass uns zu Professor Heinrich gehen, der alte Herr flirtet doch so gerne mit dir.“

Dr. Wolf hatte für unser Gespräch das ‚Peace Hotel’ ausgewählt. Ich traf ihn im traditionell chinesisch eingerichteten ‚Dragon-Restaurant’.

Voll des Lobes

„Willkommen in Shanghai. Es freut mich wirklich außerordentlich, dass sie meiner Einladung gefolgt sind, Frau Lüders“.
„Vielen Dank. Ich freue mich auch hier zu sein.“
„Haben sie schon etwas von der Stadt gesehen?“
Nun erzähl schon von der chinesischen Reisegruppe und deiner kölschen Gesangseinlage, meldeten sich meine Kobolde.
„Meine beiden Freundinnen sind übrigens auch mit nach Shanghai gekommen. Wir haben eine ausgedehnte Stadtrundfahrt gemacht und schon einige Eindrücke gesammelt.“
„Schön. Dann sind sie ja sozusagen auf ‚du-und-du’ mit Shanghai. Kommen wir doch jetzt zum geschäftlichen Teil. Frau Lüders wir arbeiten nun schon seit sechs Jahren in unterschiedlichsten Projekten zusammen. Ich habe sie dabei als zielorientierte, präzise und gewissenhafte Führungskraft kennen gelernt und sie haben alle Aufgaben erfolgreich abgeschlossen. Als wir, also meine zuständigen Kollegen und ich, die Strategie für den Ausbau von ‚International Cosmetics’ mit dem Schwerpunkt China festgelegt haben, ist ihr Name, Frau Lüders, immer wieder gefallen. Diese Empfehlung kam nicht etwa nur aus der Marketing-Abteilung, sondern ebenso vom Vertrieb, vom Einkauf, vom Controlling und von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung.“

„Alles nette Kollegen, mit denen ich immer sehr gerne zusammengearbeitet habe“, bemerkte ich nebenbei. „Sehen sie, das ist keine einsame Entscheidung von mir, sondern eine Team-Sache. Wir haben alle gemeinsam beschlossen, sie mit dem Aufbau der hiesigen Dependance zu betrauen. Wie ich ihnen schon am Telefon sagte, sie sind unsere erste Wahl Frau Lüders.“
„Das ehrt mich sehr.“
„Nun seien sie mal nicht so bescheiden, Frau Lüders, ihr guter Ruf kommt nicht von ungefähr. Dafür haben sie ja auch eine Menge ins Rollen gebracht.“
„Stimmt, da kommt im Laufe der Zeit schon einiges zusammen.“
„Wie steht eigentlich ihr Mann dazu? Sie haben doch mit ihm darüber gesprochen, oder?“
„Ja natürlich. Mein Mann meint, ich solle die Chance wahrnehmen. Fachkräfte in meinem Alter werden in China stark gesucht und leider nicht mehr bei uns in Deutschland.“
„Da kann ich ihrem Mann nur beipflichten.“

Die Stellenbeschreibung und auch die wesentlichen Aufgaben, die Targets, wie Dr. Wolf sich ausdrückte, lagen aufgrund meiner früheren Tätigkeiten im Rahmen meiner Erfahrungen und stellten daher keine Überraschung dar. Überraschend – und zwar erfreulich überraschend – waren allerdings die Rahmenbedingungen. Die besagte, finanzielle Unterstützung bei Ulrichs regelmäßigen Besuchen sowie meinem Chinesisch-Kurs und Unterstützung bei der Wohnungssuche.

„Wir haben übrigens einige Räumlichkeiten im Bezirk ‚Pudong’ angemietet und zwar in einem Bürotrakt, in dem auch andere Firmen ansässig sind. Dort steht ihnen ein Fahrdienst zur Verfügung, da sie ja doch viel unterwegs sein werden.

Außerdem“, so fuhr Dr. Wolf unvermittelt fort, „haben wir eine Assistentin eingestellt, Frau Deng. Sie wird sicher wichtig für sie sein, um ihnen die chinesischen Sitten und Gebräuche im Geschäftsleben zu vermitteln. Ich schlage vor, wir fahren gleich mal in das neue Büro, um ihnen dort alles zu zeigen und sie mit Frau Deng bekannt zu machen.“

„Guter Vorschlag, einverstanden. Vor Ort und persönlich kann man sich ein noch besseres Bild machen.“
Beim Blick aus dem Fenster lächelte mir Dr. Wolf freundlich zu. „Von hier aus haben sie eine unvergessliche Aussicht auf das quirlige Treiben im Herzen Shanghais – ihrem hoffentlich zukünftigen Domizil.“

Die neuen Büros, die ‚International Cosmetics’ angemietet hatte, ließen keine Wünsche offen. Modernste Technik gepaart mit stilvollen Kunstobjekten, eine Mischung, die genau meinen Geschmacksnerv traf. Power und Behaglichkeit stiegen spontan in mir auf, als ich durch die Flure schritt.

„Sie müssen Frau Lüders sein“, wurde ich von einer jungen Chinesin angesprochen.
„Ja, das stimmt. Woher wissen sie das?“

„Weil sie Herr Doktor Wolf so gut beschrieben hat, da habe ich sie gleich erkannt.“
„So, hat er das?“
„Ja“, sie lächelte mich freundlich an. “Ich heiße übrigens Deng

Xiahong.“ „Ach, nett sie kennen zulernen, dann sind sie…“
„…ja, ihre Assistentin.“
Ich musste lachen, mein Vertrag war noch nicht unterschrieben, aber meine Assistentin war schon da. „Wo haben sie so gut Deutsch gelernt?“

„Hier in Shanghai. Ich war zuerst bei der Rudolf Mannberg Gesellschaft. Dann habe ich ein Stipendium von ‚International Cosmetics’ bekommen und in Deutschland studiert.“

„Wie läuft denn so was ab, ein Stipendium von China nach Deutschland?“
„Das lief ganz einfach. ‚International Cosmetics’ hat für verschiedene Positionen Leute gesucht und sich bei Rudolf Mannberg informiert, und die haben dann meine Adresse weiter gegeben. So sind wir in Kontakt gekommen. Geplant war, dass ich nach dem Studium in der Export-Abteilung eingesetzt werde. Doch jetzt bin ich ihre Assistentin und das gefällt mir wesentlich besser.“

„Das freut mich. Aber warum gefällt ihnen das besser?“

„Weil ich schon so viel Positives über sie gehört habe, ich kann eine ganze Menge von ihnen lernen.“ Soviel Vorschußlorbeeren machten mich ein bisschen verlegen.
„Ich wusste gar nicht, dass Rudolf Mannberg auch hier in Shanghai ansässig ist. Ich kenne sie bisher nur aus Beijing.“

„Diese Niederlassung gibt es noch nicht so lange, wie die in Beijing, erst seit sieben Jahren ungefähr. Aber Shanghai wächst so schnell und damit auch der Bedarf, so dass wir Chinesen Deutsch lernen.“

„Verstehe.“

„Wie ich sehe, haben sie sich schon miteinander bekannt gemacht“, stellte Dr. Wolf fest.
„Haben sie alles gesehen Frau Lüders? Gibt es noch irgendwelche Fragen? Was kann ich jetzt noch für sie tun?“

Gesehen hatte ich alles, Fragen hatte ich keine mehr, was sollte er noch für mich tun? – Nichts mehr.
Bevor wir auseinander gingen, drückte er mir das Vertragsangebot in die Hand.
„Es entspricht dem, was wir besprochen haben. Doch lesen sie alles in Ruhe durch. Wenn sie Fragen haben, melden sie sich bitte. Unterschreiben können sie, wenn sie wieder in Deutschland sind. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit Frau Lüders.“
Dr. Wolf reichte mir zum Abschied die Hand und lächelte.

Und so geht’s weiter in Teil 8: Angelika stand vor dem Haus Nummer einhundertsiebzig auf der ‚Nanjing Lu’…

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