Drei Frauen sind ein Theater (4)

Drei Frauen sind ein Theater

Den Eingang zur Altstadt schmückte ein bunt bemaltes Holztor. Laute Musik dröhnte aus den in fast jeder Ecke aufgestellten Lautsprechern.
Von allen Seiten sprachen uns meist junge und stets lächelnde chinesische Händlerinnen an. Manche versuchten sogar, uns förmlich in ihren Shop zu ziehen. „Die bringen sich die wenigen Englischbrocken wohl selbst bei“, kommentierte Angelika das eben Gehörte.

„Wie kommst du darauf?“ wollte ich wissen.
„Na, looki, looki ist doch einfach falsch.“
„In der Tat, ein großes Problem. Die Kinder lernen zwar eine Menge englischer Vokabeln, aber auf Konversation wird nicht viel Wert gelegt“, sagte Ingrid. „Und bei den Alten ist das ein noch viel größeres Dilemma.“

„Wieso?“ fragte Angelika.
„Weil die kein einziges Wort verstehen. Selbst die Leute, die mit Touristen zusammenkommen, wie etwa die Taxifahrer. Wenn ihr alleine unterwegs seid, müsst ihr unbedingt euer Fahrziel in chinesischen Schriftzeichen aufschreiben lassen. Das ist das einzige, was sie verstehen.“ 

„Gut zu wissen“. Für den Hinweis waren wir dankbar.

In der Altstadt

Die verschachtelte Altstadt erinnerte an ein Labyrinth. Ein hinter uns abrollendes Garnknäuel, wäre sicher eine gute Hilfe gewesen. Stattdessen prägten wir uns die gegangenen Wege genauestens ein.

Vor einem Laden mit allerlei Krimskram blieb Ingrid unerwartet stehen und nahm ein glänzend silbernes Teil in die Hand.
„Endlich habe ich es gefunden“, rief sie glücklich.
„Was ist das denn?“ fragte ich.
„Na, eine chinesische Fahrradklingel.“
„Ich hab noch nie eine chinesische Fahrradklingel gesehen. Funktioniert die tatsächlich oder ist das nur Attrappe?“ Liebevoll strich sie über den runden Deckel. Mit einem kräftigen Daumendruck betätigte sie den Schalter. Ein helles, sehr, sehr lautes Klingeln war zu hören – es erinnerte an unsere sonntagtäglichen Kirchenglocken. Wir hielten unsere Ohren zu und mussten einfach nur lachen.

Wenn man mit dieser Klingel Leute vor dem nahenden Fahrrad warnen wollte, bekämen die glatt einen Herzinfarkt.
Ich fasste meine Gedanken in Worte: „Willst du dieses Monster wirklich kaufen? Als Ärztin solltest du dich doch eher präventiv verhalten.“

Ihr unverständlicher Blick zeigte mir, dass sie Willens war, bald dieses chinesische Ding an ihr französisches Fahrrad zu montieren und so die Leute in deutschen Landen zu erschrecken.

Angelika hatte sich nicht an unserer kleinen Diskussion beteiligt. Sie stand geistesabwesend in einer anderen Ecke und starrte auf eine Kalligrafie.
Kann die jetzt doch Chinesisch? wunderten sich meine Jungs. Unbemerkt kam ich näher und las die neben stehende englische Übersetzung, die so viel bedeutete wie: ‚Es gibt Menschen, die ihre Persönlichkeit aufgeben, damit ihre Person besser zur Geltung kommt – Chinesische Weisheit’.

Fast hätte ich ihr meinen Ellebogen leicht in die Seite gestoßen und ‚guter Spruch gesagt’, doch sie wirkte traurig und in sich gekehrt. Da ich mir keine Abfuhr einheimsen wollte, so wie Ingrid morgens, schlich ich mich davon. Was war nur mit ihr los?

Wir spazierten durch die alten Gassen eines traditionellen Hutongs, das noch nicht den Betonbauten zum Opfer gefallen war. Teilweise waren die Wege so eng – ein Auto würde hier nicht durchkommen.

„Der Name ‚Hutong’ stammt wohl aus dem Mongolischen und setzt sich aus ‚hot’ für Brunnen und ‚hudu’ für Stadt zusammen“, erklärte Ingrid. „Wenn jemand früher ein Hofhaus baute, errichtete er zuerst die Mauer um sein Grundstück. Dann setzte er die Gebäude an drei oder alle vier Seiten des Gartenrechtecks. Die Häuser haben nach außen meist keine Fenster, sondern nur nach innen zum Hof hin, wie ihr seht.“

„Also Konzentration nach innen und Abwehr des Fremden“, lachte ich. „Wahrscheinlich gucken die uns deshalb auch so merkwürdig an.“
„Vielleicht haben sie in ihrem Leben noch nicht so viele Langnasen gesehen.“ Auch Angelika amüsierte sich über meinen Spruch und fuhr fort: „Und dann noch so grazile weibliche Schönheiten.“

Wir grinsten um die Wette.
“Leider werden die alten Hutongs bald der Vergangenheit angehören. Dann wird man sie im neuen Beijing wohl vergeblich suchen“, beendete Ingrid ihre Ausführungen.

Vor dem Abendessen wollten wir uns noch ein wenig frisch machen und fuhren mit dem Taxi zum Appartement.
„Puh, jetzt muss ich erst mal etwas trinken“, pustete Ingrid. Sie nahm einen Fünf-Liter-Kanister, goss sich ein großes Glas ein, trank einen ergiebigen Schluck und spuckte das Getrunkene in einer hohen Fontäne wieder aus.

„Das geht ja gar nicht.“
„Was ist jetzt los?“ fragte ich und rannte zu ihr in die Küche.

„Das Wasser schmeckt sehr eigenartig. So als wäre es schlecht, ein bisschen wie verfault.“
„Aber das gibt’s doch gar nicht, Ingrid!“ Ich sah sie prüfend an.

„Doch bestimmt, probier mal.“
Ne, ne lass das mal lieber bleiben, nachher fängst du dir noch irgendwas ein und musst den Rest der Reise im Bett bleiben, warnten mich meine Kobolde. „Nein, danke, besser nicht“, antwortete ich.
Angelika war mittlerweile auch zu uns gestoßen. Vorsichtig erkundigte sie sich: „Vielleicht ist das ja chinesisches Heilwasser? Hast du mal auf das Etikett geguckt,
Ingrid?“ „Davon steht nichts drauf.“
„Was denn sonst?“
„Na eben Wasser“, stotterte sie. Ingrid nahm einen weiteren Schluck, gurgelte eine Weile, bevor sie ihn dann komplett heruntergeschluckte.
„Du könntest mit deiner Annahme richtig liegen. Nur, wofür soll das gut sein?“
„Das weiß ich natürlich nicht, bin ja kein Experte, aber vielleicht Frau Wang, wir können ja mal fragen. Möglich, dass sie zu Hause ist, sie wohnt doch ganz in der Nähe“, schlug Angelika vor.
„Gute Idee, ich rufe sie gleich mal an.“

Während wir auf Frau Wang warteten, führte Ingrid einen weiteren Selbstversuch durch. Vermutlich ließ ihre Unwissenheit, wofür dieses Heilwasser einzusetzen sei, ihr keine Ruhe. Doch auch der vierte Schluck brachte ihr keine Erleuchtung.

Endlich kam Frau Wang. Sofort führten wir sie in die Küche, drückten ihr ein Glas in die Hand, ließen sie kosten und warteten gespannt ab.
„Das ist Schnaps – Schlangenschnaps“, lachte sie – und zum ersten Mal richtig laut.

„Was ist das?“ Ich konnte es nicht glauben.
„Sie haben richtig gehört, das ist Schlangenschnaps.“ Frau Wangs Lachen wollte kein Ende nehmen. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, nahm sie den Fünf-Liter- Kanister in die Hand, deutete mit dem Finger auf eine Stelle und lachte erneut, „hier steht’s, der hat zweiundvierzig Grad.“
„Wenn schon, dann hat der zweiundvierzig Prozent“, korrigierte Angelika.
Das mit den Zahlen hatten wir heute ja schon mal, freuten sich meine, inzwischen wieder tanzenden Kobolde. Aber Wasser mit Schnaps zu verwechseln, das deutet wirklich auf hinreichende Chinesischkenntnisse hin. Sie konnten sich kaum beruhigen.

Ingrid ignorierte einfach die Tatsache, dass es sich um ganz einfachen Schnaps und nicht um Heilwasser handelte. Stattdessen nahm sie einen ganz großen Schluck und rief: „Dieser Geschmack kam mir doch gleich bekannt vor. Ist richtig lecker, wenn ihr mich fragt, müsst ihr unbedingt trinken. Wir haben ja schließlich genug davon, so ungefähr fünfzehn Liter.“

Zugegeben, anfangs schmeckte er schon etwas gewöhnungsbedürftig, doch das gab sich mit jedem weiteren Schluck. Den restlichen Abend verbrachten wir in ausgelassener Stimmung.

Führung mit Guide

Am nächsten Tag verabredeten wir uns zum gemeinsamen Abendessen, denn heute war Ingrids erster Tag im Institut. Für uns stand Sightseeing mit Frau Wang auf dem Plan.

Wir starteten am ‚Platz des Himmlischen Friedens’.
„Das ist ein beliebter Ausgangspunkt, um sich einen ersten Überblick über die Stadt zu verschaffen“, erklärte Frau Wang als wir auf dem größten Platz der Welt standen.
„Im Süden sehen sie das Mao-Mausoleum. Und hier“, dabei zeigte sie auf die Stele, die mitten auf dem Platz stand, „das ist zum Gedenken an die Märtyrer der Revolution.“
Sie führte uns zu der Großen Halle des Volkes und zum Tian’anmen Tor, das dem Platz seinen Namen gibt: Dies ist zugleich das Südtor zum Kaiserpalast, den wir als nächstes besichtigen wollten.

Obwohl ich Frau Wangs Ausführungen interessant und informativ fand, bemerkte ich eine gewisse Unruhe auf- steigen. Der Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, es war fast ein Uhr.

Minuten später klingelte mein Handy.
Ich entschuldigte mich bei den beiden und ging ein paar Schritte außer Hörweite.
„Lena Lüders, guten Tag.“

„Guten Tag Frau Lüders, Maximilian Wolf hier, schön sie zu hören. Wie geht es ihnen? Und was macht
Beijing?“ „Dankeschön, mir geht es sehr gut. Ich stehe gerade auf dem Tian’anmen-Platz.“

„Ach, der Tian’anmen-Platz, passen da nicht eine Million Menschen drauf?“
„Genau, das habe ich auch gerade gelernt. Und um ihre zweite Frage zu beantworten: Mir geht es sehr gut. Das Wetter ist herrlich, die Menschen sind ausgesprochen freundlich, und ich fühle mich hier richtig wohl.“

„Na, das höre ich gerne, Frau Lüders. Haben sie sich auch schon die große Mauer gesehen?“
„Nein, bisher noch nicht. Die steht noch auf meinem Programm. Aber dafür war ich schon auf dem Perlenmarkt und habe sehr schöne Ketten in Auftrag gegeben, Herr Dr. Wolf.“

„Das freut mich, Frau Lüders. Aber lassen sie uns nun über den eigentlichen Zweck meines Anrufes sprechen.“ Augenscheinlich ging es ihm nicht um die Perlenketten, was um alles in der Welt wollte er eigentlich von mir? Unruhig tippelte ich von einem Bein auf das andere.

Still lauschte ich Dr. Wolfs Monolog. Er endete mit: „Kommen sie nach ihrem Beijing-Trip für ein paar Tage nach Shanghai. Dann können wir vor Ort die Details besprechen. Überlegen sie in Ruhe. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei ihnen, wieder gegen ein Uhr, einverstanden?“

„Ja, ist in Ordnung“, antwortete ich verdattert.

„Fein. Dann wünsche ich ihnen noch eine gute Zeit in Beijing.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich von mir.

Anscheinend war ich wohl etwas blass geworden. Angelika schaute mich besorgt von der Seite an und fragte: „Was ist mit dir? Du hast ja gar keine Farbe mehr im Gesicht. Kann ich dir helfen?“

So behutsam hatte ich sie bisher noch nicht erlebt.
„Danke Angelika. Es hat etwas mit dem Anruf zu tun. Aber, sei mir bitte nicht böse, ich kann im Moment nicht darüber sprechen. Ich muss erst zuerst meine Gedanken sortieren. Ich hoffe, Du verstehst das?“
„Und ob. Mir geht es nicht anders.“
„Wieso?“
„Augenblicklich denke ich viel nach und kann auch nicht darüber sprechen.“
„Verstehe. Vielleicht kommst du mir deshalb manchmal so grübelnd vor.“
„Ja, das kann gut sein.“
„Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Wenn ich dir helfen kann und wenn es nur ums Zuhören geht, dann sag es mir bitte.“
„Ja, danke. Das gilt selbstverständlich auch für dich.“ Dieser Moment hatte etwas ganz Inniges. Daher war es nicht verwunderlich, dass Angelika mich fest umarmte und mir, „das schaffen wir schon“, ins Ohr flüsterte.

Frau Wang bekam von all dem nichts mit. Stattdessen blätterte sie in ihrem Reiseführer und bereitete sich auf den nächsten Höhepunkt, den ‚Kaiserpalast’ beziehungsweise die ‚Verbotene Stadt’ vor. 

„Der Kaiserpalast war der Verwaltungs- und Wohnpalast der 26 Kaiser aus der Ming- und Qing-Zeit. Er ist heute UNESCO- Weltkulturerbe“, fuhr Frau Wang ihre Führung fort. „Einer Legende nach gibt es im Palast 9999 Räume. Denn nur der Himmel darf über 10 000 Räume verfügen. Tatsächlich sind es jedoch 8706 Räume und Hallen, einschließlich der Repräsentationsbauten auf der Hauptachse und der Wohnhöfe. Hinzu kommt das umfangreiche Palastmuseum, in dem ein Teil der Schätze des Kaiserhauses ausgestellt sind.“
„Aber die besichtigen wir nicht alle Frau Wang, oder?“ fragte Angelika vorsichtig.
„Nein, nein, keine Angst. Ich zeige ihnen die wichtigsten Sachen. Wenn sie dann noch Lust haben und noch Zeit übrig ist, können sie sich gerne weiter umschauen.“

Nach mehr als zwei Stunden schwirrte mein Kopf: Halle der höchsten Harmonie, Halle der vollkommenen Harmonie, Halle der Erhaltung der Harmonie, Palast der Himmlischen Reinheit, Palast der Irdischen Ruhe – und genau das brauchte ich jetzt. Ich setzte mich auf eine kleine Mauer, streckte meine müden Beine von mir und atmete tief durch. Es war ein klarer, sonniger Tag und der Blick auf den gegenüberliegenden Kohlehügel war einfach wunderschön. Erschöpft trank ich einen großen Schluck aus meiner Wasserflasche.

Was hat der gesagt? Meine Gedanken blitzten wieder auf. Er will mich nach Shanghai holen? Ich soll als Projekt-Managerin den neuen Standort aufbauen? Das habe ich sicher nur geträumt. Ich zwickte mich, als Beweis sozusagen, selbst ganz fest in den Arm. „Au“, schrie ich laut und erschreckte die anderen Touristen, die mich fragend anschauten.

Traum oder nicht?

Ich hatte also nicht geträumt. Ich hatte mit Dr. Wolf telefoniert, und ich soll nach Shanghai kommen. Super, meine Kobolde starteten einen regelrechten Freudentanz. Hast du gehört, wie sehr er dich gelobt hat? Und wie sehr er von deinen Leistungen überzeugt ist? Ja, habe ich gehört, aber… Endlich, darauf hast du doch so lange gewartet. Und in China ist noch kein Jugendwahn ausgebrochen. Älteres Fachpersonal wird hier nicht nur sehr geschätzt, sondern oft werden nur sie wirklich akzeptiert. Das ist wirklich toll, doch… Dir ist ja schon klar, dass du uns das zum größten Teil zu verdanken hast?

Wieso euch? Was habt ihr denn damit zu tun? Na, ganz einfach: Denk doch mal an die vielen guten Ratschläge, die wir dir bei deinen Projekten gegeben haben. Schon vergessen? Und genau das macht sich jetzt bemerkbar. Ja, das ist richtig. Was würde ich ohne euch machen? Und, was würdet ihr mir jetzt raten, Jungs? Annehmen.

Ihr meint, ich soll in Shanghai arbeiten? Klar, was hast du für ein Problem damit?

Du hast dem Dr. Wolf doch gerade selbst gesagt, dass du dich hier so wohl fühlst. Stimmt, das habe ich gesagt. Außerdem reden wir hier über ein einziges Jahr. Und das geht so schnell vorbei. Ihr meint also, ich soll das machen? Jaaaaa, das sagen wir doch die ganze Zeit, und das klang mehr als vergnügt. Wieder einmal verblüfften sie mich und zeigten mir, wie gut sie mir taten, wenn ich sie wirklich zu Wort kommen ließ, und ich mir ihre Argumente anhörte. Irgendwie war mir nun leichter ums Herz, auf meine innere Stimme konnte ich mich halt doch verlassen. „Da bist du ja. Ich habe dich schon überall gesucht.“ Angelika setzte sich zu mir. „Ich genieße den Ausblick. Ist das nicht einfach malerisch?“ lächelte ich sie entspannt an.

Eine Gruppe kichernder buddhistischer Nonnen in grellen Gewändern versammelte sich um uns und versuchte Kontakt mit uns aufzunehmen. Zunächst verstanden wir nicht, um was es ging. Erst als die jungen Nonnen auf ihre Kameras zeigten war klar, sie wollten ein Foto. Ich erhob mich, ging auf die erste Nonne zu und wollte mit ihrer Kamera ein Foto von ihr machen. Doch sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Dabei lachte sie noch so nett, dass ich nun gar nichts mehr verstand. Ich probierte es auf Englisch – doch auch das war erfolglos.

Kurzerhand nahm die Nonne meinen Arm, führte mich zu der Mauer und deutete mir an, dass ich mich neben Angelika setzten sollte. Sie holte eine weitere Chinesin, platzierte diese zwischen uns, eilte wenige Meter zurück und schrie lautstark „cheese.“

Nach dem gemachten Foto stand sie auf und verbeugte sich kurz vor uns. Die nächste Nonne stand schon in den Startlöchern, setzte sich zwischen uns und legte ihre Arme um Angelika und mich. Dieses Spielchen wiederholte sich gut und gerne zehn Mal, dann war jede Nonne mit uns abgelichtet.

„Das ist offenbar etwas ganz Besonders, mit uns Langnasen fotografiert zu werden“, lachte Angelika. „Ich prophezeie dir, wir kommen noch mal ganz groß raus, wirst du schon sehen.“

Für das Abendessen hatte Frau Wang ein Spezialitätenrestaurant für ‚Mongolischen Feuertopf’ ausgewählt. „Wie sie sehen, ist in der Mitte des Tisches der Topf eingelassen. Hier unten“, erklärte sie und deutete dabei auf die Unterseite des Tisches, „wird er mit einem Gasbrenner beheizt. Gleich wird der Topf mit einer rotbraunen Brühe gefüllt. Dazu bestellen wir jetzt unterschiedliche Zutaten, die dann darin gegart werden. Schauen sie doch schon mal in die Karte.“
Die Speisekarte kam mir irgendwie bekannt vor, das hatte ich doch schon mal gesehen: Kresse, Pilze, dünn geschnittenes Fleisch. Ich musste lachen. Gut, dass dieses Mal Frau Wang bei uns war.
Der Kellner verhandelte lautstark mit Frau Wang über das Angebot, worauf sie fragte: „Mögen sie Fisch? Wie ist es mit Tofu? Vertragen sie Pilze? Und möchten sie auch Fleisch?“
Da wir auf fast alles Appetit hatten, wurde die Liste unserer Bestellungen entsprechend lang. Bei den Getränken waren wir uns hingegen rasch einig: Wasser und ‚Great Wall’, der chinesische Rotwein, unsere Hausmarke.

Flinke Kellner brachten die noch rohen Zutaten, die aus Platzgründen auf einem Zusatztischchen drapiert wurden. Dann bekamen wir ein Schälchen mit einem Sud, der viel Knoblauch und Korianderblätter enthielt.

„Den müssen sie gut durchrühren“, erklärte Frau Wang. Bevor sie fortsetzten konnte, hatte Ingrid das Teil schon an den Mund gesetzt.
„Nein, Frau Doktor, das ist keine Suppe. Das ist der Dip für die gekochten Zutaten“, äußerte sie mit leicht beleidigtem Tonfall, wahrscheinlich weil Ingrid ihr nicht bis zu Ende zugehört hatte.

„Macht ja nichts, ich wollte nur mal probieren. Ein bisschen scharf vielleicht, aber sehr gut.“
Ist schon doll, wie sie immer die Kurve zum Positiven kriegt, meldeten sie die Jungs – ich überhörte sie einfach. Derweil trat ein weiterer Kellner an unseren Tisch. Er zog aus einem Plastikeimer einen großen, noch lebenden Fisch und hielt ihn in die Höhe.

„Das ist zur Demonstration wie frisch der Fisch ist“, begründete Frau Wang die Handlung des Kellners. Wenig später gab er zerkleinerte Fischstücke in den Topf, dazu die anderen bereitstehenden Zutaten und rührte alles mehrfach um. Ein köstlicher Geruch lag über unserem Tisch.
„Wie war es denn bei dir, Ingrid? Erzähl doch mal von deinem ersten Tag?“ forderte ich sie auf.
„Oh, es war ganz ausgezeichnet. Alle Kollegen sind ausgesprochen nett. Es sind einige Kapazitäten darunter. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen. Zum Beispiel Professor Dr. Dr. Wiesenstrauch. Von dem habt ihr doch sicher schon gehört, oder?“
Ich hatte keinen blassen Schimmer, wer dieser Dr. Wiesen…, noch nicht mal den Namen hab ich richtig behalten.
„Es tut mir leid, Ingrid, von diesem Herrn habe ich leider noch nichts gehört. Ist ja nicht ganz so mein Fachgebiet, wie du weißt.“ 

Warum entschuldigst du dich eigentlich bei ihr? Meinst du, die kennt Professor Dr. Heribert Meffert? Den Papst des Marketings, erkundigten sich die Jungs bei mir. Nur keine falsche Bescheidenheit und ein bisschen mehr Selbstsicherheit, wenn wir bitten dürfen, gerade jetzt, nach dem tollen Angebot.

Wieder einmal musste ich ihnen zustimmen, und so lächelte ich Ingrid an.
„Und was war das Besondere an dem Tag, außer den wichtigen Menschen, die du getroffen hast, und die wir ja ohnehin nicht kennen?“ Angelika überraschte mich mit ihrer spitzen Zunge.

König, der Heilpflanzen

Ingrid schaute schon ein wenig irritiert, antwortete aber dann: „Ich habe Interessantes über den Reishi-Pilz erfahren. Er besitzt in China uralte Tradition und wird als ‚Pilz des langen Lebens’ verehrt. Er ist so etwas wie der ‚König der Heilpflanzen’ und hat sowohl vorbeugende als auch heilende Wirkung.“

„Und gegen was beugt er vor?“ erkundigte sich Angelika lachend.
„Empirische Ergebnisse bestätigen die Wirkung bei der Krebstherapie in Kombination mit konventionellen Methoden der Schulmedizin. Aber auch das Herz-Kreislauf- System kann mit Hilfe von Reishi gestärkt werden, jedenfalls beweist das eine großen Studie, die an sieben Kliniken durchgeführt wurde: Cholesterin- und Blutdruckwerte können ebenfalls deutlich gesenkt werden“, referierte Ingrid.

Wir waren tief bewegt und Ingrid war vollends in ihrem Element. Sie erzählte alles, was sie über den Pilz erfahren hatte. „Der präventive Schutz gegen Herzinfarkt und Schlaganfall eröffnet neue Chancen bei der TCM. Bei Asthma und Bronchitis beweist Reishi durch seine entzündungshemmenden und schmerzstillenden Eigenschaften ebenfalls hervorragende Wirkungen.“

Mit Beendigung ihres Vortrages war auch der Feuertopf endlich fertig. Mit Stäbchen oder kleinen Drahtkörben tauchten wir nach hauchdünnem Fleisch, Pilzen oder Tofu und tunkten alles in den Dip – jetzt war genießen pur angesagt. Selbst die zerkleinerten Fischteile stellten kein Problem dar. Frau Wang führte uns vor, wie man kleine Happen mit den Stäbchen sehr einfach herausfischen konnte.

Ich setzte gerade mein Glas an den Mund und wollte genüsslich einen Schluck ‚Great Wall’ trinken, als eine junge Kellnerin mit einer Plastikschüssel an mir vorbei huschte. Plötzlich sprangen Krebse aus ihrer Schüssel und liefen in atemberaubender Geschwindigkeit den Gang entlang. Das sah unbeschreiblich komisch aus – ich konnte mein Lachen nicht mehr unterdrücken.

„Mensch die Arme“, sagte Angelika, die jetzt ebenfalls die Situation verfolgte. „Der bleibt nichts anderes übrig, als den Krebsen nachzurennen, um sie wieder einzufangen.“
Wir verfolgten das Spiel: Die Krebse, die sie wieder zurück in die Schüssel gab, unternahmen den erneuten Fluchtversuch und sprangen wieder heraus. Angelika blickte der Kellnerin mitfühlend nach. Spätestens als einer der Krebse Kurs auf sie nahm und sich ihrem Bein erschreckend näherte, war ihr Mitleid am Ende. Stattdessen schrie sie laut auf, sprang auf ihren Stuhl und stierte auf den Krebs, dem inzwischen weitere gefolgt waren.

Die Kellner-Kollegen kamen zur Hilfe. Sie sammelten die ausgebüchsten Krebse wieder ein und gaben sie in deutlich größere Plastikschüsseln. Gemeinsam gingen sie zu den Gästen, und präsentierten ihnen die lebendigen Krabbeltiere.

Später konnte ich endlich mit Ulrich telefonieren. Geduldig hörte er meinen Ausführungen zu, kommentierte mit „hm“, „ja ach“ oder „gut“ und fragte, als ich geendet hatte „und warum bist du so zögerlich?“

„Bin ich das?“
„Und wie.“
„Du kommst mir wie ein unentschlossenes Schulmädchen vor.“
„Das war mir nicht klar.“
„Glaube ich, kenn dich ja gut genug.“
„Du solltest dir mal vor Augen halten, dass das die Chance für dich ist. Hast du nicht immer darauf gewartet?“
„Ja, das stimmt schon, aber…“
„Nix aber. Dr. Wolf hat ganz Recht, du bist die Idealbesetzung für diesen Job. Und du weißt doch, dass die Chinesen nun mal keinen Youngster akzeptieren, die nehmen die nicht ernst. Also wo liegt das Problem, meine Liebe?“

„Na ganz einfach, weil du nicht bei mir bist, mein Lieber.“ „Willst du mir jetzt schmeicheln oder hast du Angst vor deiner eigenen Courage?“
„Ehrlich?
„Klar, ehrlich, was denn sonst?“
„Zugegeben ein bisschen Angst habe ich schon.“
„Na, wusste ich es doch. Ist doch gar nicht schlimm, gehört einfach dazu und ist völlig normal.“
„Aber fehlen wirst du mir auf jeden Fall.“
„Na, das will ich auch hoffen. Wenn das nicht so wäre, hätte ich ein Problem.“
„Nun aber mal ganz ernst Ulrich, du würdest mir also zu dem Job raten?“
„Ja, wie ich schon gesagte habe. Und denk bitte daran, dass wir schon einmal eine Wochenend-Ehe über achthundert Kilometer-Entfernung geführt haben. Das hat unserer Beziehung ja auch nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Wenn die Globalisierung so fortscheitet, müssen wir uns halt anpassen. Da werden eben aus achthundert ganz schnell achttausend Kilometer. Doch die fliege ich gerne, nur um dich zu besuchen.“
Es entstand eine längere Pause.
„Hallo, Lena, bist du noch dran?“
„Ja, ja, ich bin noch dran, ich habe nur noch mal nachgedacht.“
„Und, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“
„Ich habe mir überlegt, dass ich Dr. Wolf anrufe und ihm mitteile, dass ich gerne weitere Details mit ihm in Shanghai besprechen möchte.“
„Na, super, das ist ein erster Schritt. Herzlichen Glückwunsch zu deiner Entscheidung.“ 

„Danke.“
„Da nicht für, ich wusste, dass du einen klaren Blick für echte Chancen hast.“
„Ach so?“
„Ja, schließlich bist du mit mir verheiratet und dass färbt ja ab – wie du merkst.“
„Mein Lieber, das lassen wir jetzt mal so stehen. Darüber reden wir, wenn ich aus Pek…äh Shanghai zurückkomme.“ „Okay, okay, du kluges Mädchen. Was machst du heute noch?“
„Ich gehe jetzt schlafen, bin hundemüde, es war ein anstrengender Tag, aber so schööön.“
„Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und träum süß. Vielleicht wie wir beide auf dem Bund spazieren gehen?“ „Oh, das ist ja noch in sooo weiter Ferne. Ich glaube, ich nehm doch eher die Verbotene Stadt, da war ich heute, die hab ich noch ganz lebendig vor Augen.“ „Auch gut, schlaf schön, ich denk an dich.“
„Ich denk auch an dich.“

Frau Hu

Wir waren mit Ingrid und Frau Hu zum Nachmittagstee verabredet.
„Ich kenne Frau Hu aus unserer gemeinsamen Beijinger Institutszeit“, beschrieb Ingrid ihre ehemalige Kollegin. „Ich habe sie in bester Erinnerung. Vor gut zwei Jahren ist sie zur Rudolf Mannberg Gesellschaft gewechselt. Die machen irgendwas mit Bildung, so viel ich mich erinnern kann. Ihr müsst Frau Hu unbedingt kennen lernen, die wird euch gefallen, da bin ich mir ganz sicher.“

Und wie sie uns gefiel. Diese kleine, quirlige Frau versprühte so viel Temperament und hatte so ein enormes Mitteilungsbedürfnis – da hätten glatt zwei weitere Menschen was von abkriegen können. Sofort sprudelte sie los
„Mein Kollege Herr Wong stammt aus Süd-China und hat vor Jahren mit mir zusammen Deutsch gelernt. Dann wurde er von unserer Firma zum Deutschland-Einsatz geschickt. Als er wieder in China war, haben wir uns getroffen. Er hat mir so von Deutschland vorgeschwärmt. Na, das kann ich ja verstehen, war ja schließlich selbst ein paar Mal in ihrem Land. Aber warum genau er Deutschland so sehr liebt, war mir nicht klar. Also fragte ich ihn. ‚Weil die auch Hunde und Katzen essen’, war seine Antwort. Sie können sich vorstellen, wie entrüstet ich war und konnte nur noch ‚was, die Deutschen sollen Hunde und Katzen essen?’ schreien. ‚Wie kommen sie denn darauf Herr Wong?’ Dann erklärte er mir, dass er im Supermarkt war und jede Menge Dosen gefunden hat, auf denen Hunde und Katzen abgebildet waren. ‚Die habe ich dann mit nach Hause genommen und sie haben mir ganz ausgezeichnet geschmeckt’, hat er mir weiter erklärt“.

Wir klopften uns auf die Schenkel, hielten unsere Bäuche, trockneten dicke, kullernde Tränen – wir konnten uns einfach nicht mehr halten vor Lachen.
„Das ist zu komisch“, pustete Ingrid heraus. Sie war die erste, die wieder etwas sagen konnte. „Eine tolle Verwechslungsgeschichte, finde ich.“

„Stimmt“, sagte Angelika und fügte mit einem breiten Grinsen hinzu, „dazu können wir ja auch etwas beitragen, Ingrid.“
„Ich verstehe nicht. Was meinst du?“
„Na, die Sache mit dem Wasser.“
„Ach so, die.“
Es schien, als wolle sie darüber hinweg gehen. Doch Frau Hu hatte das Stichwort längst mitgekriegt und fragte sie direkt: „Was ist mit dem Wasser?“
„Ach nichts.“
Na, ob ihr die Geschichte wohl ein wenig peinlich ist? freuten sich meine Jungs.
„Was kann schon an einem harmlosen Wasser dran sein, nun erzähl schon.“ Frau Hu stachelte Ingrid förmlich auf. Nö, das Wasser war es ja auch nicht, die Jungs tanzten Ringelrein.
„Na dann schieß los, Ingrid, zier dich nicht so, sonst erzähl ich die Geschichte.“ Angelika schien die Situation sehr zu genießen.

„… und jetzt haben wir drei Fünf-Liter-Kanister chinesischen Schlangenschnaps“, endete Ingrid und schaute dabei leicht verlegen zu Boden.
Siehst du, sagen wir doch, das ist ihr peinlich, peinlich, mega peinlich, riefen die Kobolde.

Erst als sich Frau Hu vor Lachen schüttelte und sich wieder und wieder die Tränen aus ihren Augen wischte, stimmte Ingrid mit in die Lachorgie ein.
„Wir laden Sie gerne auf ein bis drei Gläschen ein, wir haben ja genug von dem Zeug“, richtete ich mich an Frau Hu.

„Und mit der Zeit, Frau Hu, wird er auch immer leckerer“, stimmte Angelika zu.
Eine Reihe weiterer Anekdötchen machte die Runde, die, begleitet durch unsere Lacher, Kellner und Küchen- Mannschaft des Bistros anlockte. Neugierig wie Chinesen nun mal sind, wollten sie wissen, woher diese Geräusche kamen. Unsere lachende Damenrunde inspirierte alle zum Mitlachen.

„Das ist deutsch-chinesischer Kulturaustausch live und in Farbe“, stellte Frau Hu fest.
Ganz allmählich fanden wir zu unserer Fassung zurück. „Ingrid, wie ist es im Institut und was hast du für Vorträge gehört?“ erkundigte sich Frau Hu.

„Nun, ich habe einige Vorträge über QiGong und Tunia gehört. Doch daneben möchte ich vor allem tiefere Einblicke in die Ernährungslehre erhalten. Die hat ja im Rahmen der traditionellen chinesischen Medizin einen sehr hohen Stellenwert.“

„Ja, ja, das ist für uns Chinesen eine Einheit und nicht, wie bei euch, zwei unterschiedliche Dinge. Aber, ich dachte, du als TCM-Ärztin wüsstest hierüber hinreichend
Bescheid.“ „Ja und nein. Mit meinem Wissen kann ich meine Patienten ausreichend medizinisch versorgen und dabei entsprechende Therapien ableiten. Aber – und das ist jetzt auch für mich ganz neu – ich berate seit kurzer Zeit die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von ‚United

Food.’ „Hört sich prickelnd an“, fand Angelika.
„Die gesamte Lebensmittelindustrie macht inzwischen auf Wellness, das kenn ich aus meiner Arbeit zu Genüge“, schaltete ich mich in die Unterhaltung ein.
„Das ist alles richtig. Fettreduzierte-, zuckerarme- und Light-Produkte sind jedoch nicht gemeint. Die wollen mehr. Ihr Ziel sind die so genannten Functional Food Products.“ „Du redest von den Produkten, die einen gezielten Einfluss auf den Stoffwechsel nehmen.“
„Ja, richtig und das führt langfristig zu weniger Krankheiten. Wie zum Beispiel, die Margarine, die den Cholesterinspiegel senkt.“
„Und was ist deine Aufgabe dabei?“ fragte Frau Hu interessiert nach.
„Ich berate sie bei der Neuproduktentwicklung, um das ganze Spektrum der TCM-Ernährungslehre einfließen zu lassen. Dazu habe ich mich mit einem Ernährungsexperten der chinesischen Fischindustrie in der hiesigen Fischhalle getroffen.“
„Ach so. Jetzt wird ein Schuh draus. Dann machst du ja ebenfalls eine Art Unternehmensberatung.“ Ich war schon ein bisschen gekränkt. „Warum hast du denn nicht früher etwas gesagt? Ich hätte dir doch mit Rat und Tat zur Seite stehen können.“ 

„Nun sei bitte nicht beleidigt, Lena. Du kennst mich doch, ich erzähle Dinge immer dann erst dann, wenn sie auch wirklich spruchreif sind – und das ist eben hier der Fall.“„Naja, ist ja schon gut.“

„Bei Bedarf komme ich bestimmt auf dich zurück. So eine Beratungstätigkeit ist ja für mich absolutes Neuland.“Vielleicht war sie deshalb manchmal so komisch und hat immer rumgedruckst, kam es mir in den Sinn.

Frau Hus Angebot für einen richtig guten deutschen Kaffee konnten wir natürlich nicht ablehnen.
„Dafür müssen wir nur ein paar Schritte zum Nachbargebäude laufen, denn in diesem Komplex ist auch unsere Kantine.“

Die Größe der Kantine war beeindruckend. Es gab vieles, was bei uns in Deutschland nicht üblich ist, wie zum Beispiel die sehr großen Informationstafeln mit einer Vielzahl von Stellenanzeigen.

„Haben sie wirklich einen so großen Personalbedarf?“ fragte Angelika verblüfft.
„Alles in allem ja. Hier können nämlich all die Firmen mit denen wir zusammenarbeiten auch ihre Stellengesuche anbringen. Und zwar nicht nur für Beijing, sondern auch für unsere Niederlassungen, wie zum Beispiel in Hongkong oder Shanghai.“

„Shanghai“, ich grinste innerlich.

Angelika schien sich ganz in die Anzeigen zu vertieften. Sie las noch, als wir schon bei dem guten deutschen Kaffee saßen. 

„Na, alles auswendig gelernt?“ fragte ich.
„Ja, logisch. Kannst mich getrost abfragen. Als Lehrerin hat man ein fotografisches Gedächtnis und ich sowieso.“ „Was hast du denn eigentlich gesucht?“ wollte Ingrid wissen.
„Ich habe nichts gesucht. Wie kommst du nur darauf, dass ich was gesucht haben sollte? So ein Quatsch.“
„Sorry, wenn ich dir zu nahe getreten bin, ich dachte ja nur, weil du so lange gelesen hast.“
„Ich bin eben ein interessierter Mensch und sehr weltoffen. Daher möchte ich jede Gelegenheit wahrnehmen, um mich im Gastland über Land und Leute zu informieren.“
Ihre wohlgesetzten Worte klangen schon sehr gestelzt und reichlich merkwürdig. Wenn Blicke reden könnten, hätte ich gerne gewusst, was Ingrid in diesem Augenblick dachte.

Ingrid hatte Vortragsfrei und wir wollten gemeinsam … wie es weiter geht, könnt Ihr im nächsten Teil (5) lesen.

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